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Gewissenserforschung an Drohnen

27. April 2016 von Herbert Hrachovec

Vortrag am 10.Kongress der Österreichischen Gesellschaft für Philosophie, Innsbruck.

http://www.uibk.ac.at/ipoint/blog/1326563.html

Im vergangenen Jahrzehnt sind tausende Personen durch Drohnen ums Leben gekommen. „Human Rights Watch“ hat sechs Einsätze im Jemen näher untersucht. Unter den 82 Toten befanden sich nach dieser Studie jedenfalls 57 Zivilisten. Der Umfang und die Reichweite gezielter ferngesteuerter Tötungen außerhalb traditioneller Kriegsschauplätze wird im philosophischen Kontext, wie generell im öffentlichen Rahmen, nur zögernd wahrgenommen. Inzwischen kursieren allerdings Titel wie „Das schlechte Gewissen von Drohnen“ als Aufreißer für Diskussionsveranstaltungen, in denen Computerwissenschaftler sich mit Philosophinnen über Prinzipien der „Maschinenethik“ zu verständigen suchen. „Gewissenserforschung“ ist ein antiquierter Terminus. Angesichts der journalistischen Rhetorik von Maschinen als Verantwortungsträgern bezeichnet er ein retardierendes Moment, eine Vorgangsweise, die den Effekt umstandslos gesetzter (Sprech-)Handlungen prüft.

In Publikationen wie dem „Journal of Intelligent Systems“, dem „Journal of Military Ethics“, „Ethics & International Affairs“ und „Ethics and Information Technology“ wird diskutiert, dass die moralische und ethische Bedeutung „intelligenter Systeme“ dringend der Klärung bedarf (M. Dougherty) und dass die politischen wie philosophischen Auswirkungen des US-amerikanischen Tötungsprogramms aufmerksam und kritisch zuprüfen seien (N. Sharkey, M. Braun & D.R. Brunstetter, Ch. Enemark). Es wird aber auch zu bedenken gegeben, dass die Enthumanisierung mittels telematischer Todeskommandos durch andere Techniken (Überwachung: „surveillance“) gemildert werden kann (M. Coeckelbergh).

In der geplanten Präsentation soll keine ethische Argumentation im Anschluss an diese Kontroverse versucht werden. Es wird ein Blickwinkel eingenommen, der sie von außen beleuchtet. Die effekthascherische Unterstellung, Drohnen könnten ein (schlechtes) Gewissen haben, erscheint bei näherem Zusehen befremdlich. In der europäischen Geschichte findet sich jedoch eine Denkfigur, die auf ähnlich unverständliche Weise moralische Verantwortung für Schadensfälle an nicht-menschlichen Akteueren festmacht. In der griechischen Antike, im Mittelalter und bis in die frühe Neuzeit ist Gegenständen und Tieren, die sich „Straftaten“ „zu Schulde kommen ließen“, der Prozess gemacht worden. Derartige Rituale sind aus heutiger Sicht rätselhaft. Sie sind so wenig nachvollziehbar, wie die Vorstellung, Drohnen könnten im Gefolge der von ihnen ausgelösten Todesfolgen Gewissensbisse verspüren. Dennoch lassen sich gute Gründe dafür finden, dass diese Praktiken nicht einfach unsinng waren. Sie erfüllen im Rahmen des ehemaligen Verständnishorizontes einen rekonstruierbaren Zweck. Angeleitet durch diese Perspektive kann man der Frage nachgehen, welche irritierenden, den status quo destabilisierenden, Problemstellungen die Denkfigur schuldfähiger, autonomer Geräte evoziert und zur Debatte zu stellen versucht. In diesem Licht erscheint erstens die Rede von Drohnen mit Schuldgefühlen nicht mehr gänzlich absurd und die angesprochene Problematik wird zweitens ansatzweise aus dem Bereich der Maschinenethik herausgerückt.

Die Pointe ist nicht, dass wir raffinierten Werkzeugen moralische Qualitäten zuschreiben (oder nicht), sondern dass wir uns veranlasst sehen, angesichts einer selbstverursachten Erosion bestehender ethischer Orientierungsmuster, bei provokanten, paradoxen Welterklärungen Zuflucht zu suchen.

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