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Alte und neue Vorbilder – Identität im Spannungsfeld von Ideal-Ich und Ich-Ideal

23. Oktober 2018 von andrea

August Ruhs

Alte und neue Vorbilder – Identität im Spannungsfeld von Ideal-Ich und Ich-Ideal

Die Faszination des Bildes und die Macht der Verlautbarung bestimmen zu einem überwiegenden Teil die Identität menschlicher Individuen. Aufbauend auf der dem Realen zugehörigen Ur-Identität durch das biologisch-genetische Körperschema übernehmen bewusste und unbewusste Identifikationsprozesse als Grundlagen „sozialer Vererbung“ die Ausformung relativ stabiler und nachhaltiger Seinsgrundlagen, wobei Ideal-Ich und Ich-Ideal als wesentliche Konstituenten des Über-Ich Vorbildfunktionen für die Bildung des imaginär determinierten Ich einerseits und des symbolisch strukturierten Subjekts andererseits übernehmen. Während die Psychoanalyse Identifizierungsvorgänge dieser Art als primäre Identitätsstiftungen erkennt und davon ausgeht, dass scheinbarursprüngliche Selbstbilder erst aus der Aneignung von äußeren Selbstvorbildern hervorgehen, sind sekundäre Identifizierungen, wie sie von der Sozialpsychologie beschrieben werden, als Umwandlungen und Umarbeitungen von bereits bestehenden Identitäten zu verstehen. Kultureller Wandel oder das synchrone Zusammentreffen verschiedener Kulturen können in diesem Zusammenhang zu krisenhaften Auseinandersetzungen Anlass geben, sobald Toleranzschwellen überschritten werden und sobald einseitige oder gegenseitige Anpassungszwänge nicht mehr durch Integration, Assimilation, Segregation u. ä. bewältigt werden können, so dass sie in gewaltbereite Aktionen und Reaktionen münden. In dieser Hinsicht stellen aktuelle migrationsbedingte Katastrophen sowie globale, im Namen von Nationalität und Religion geführte politische Konflikte besondere Brandherde dar, welche Anlass zu kriegerischen Handlungen bis hin zum Genozid geben können. Dem gegenüberzustellen sind Angriffe auf normative und diskriminierende Geschlechteridentitäten, die auf einem Zusammenspiel primärer und sekundärer Identifizierungen beruhen und bislang hauptsächlich diskursiv und rollenbezogen auf der Ebene von Genderpolitik ausgetragen wurden. Gegenwärtig aber stellen medizinisch gestützte Eingriffe am realen Körper im Hinblick auf Manipulationen des biologischen Geschlechts verbreitete Maßnahmen dar, um nicht nur traditionelle soziale Ordnungen zu subvertieren, sondern auch dem Schicksal der Anatomie und der „Genlotterie“ zu entgehen. Sowohl zur Aufrechterhaltung traditioneller als auch zur Durchsetzung neuer Identitäten werden auf der Grundlage ideologiegestützter Phantasmen den jeweiligen Führerfiguren wirkmächtige Vorbilder beiseite gestellt, bei deren Auswahl häufig auf mythische Vorzeiten zurückgegriffen oder aber auf visionäre Zukunftsgestalten verwiesen wird. Gegenwartsbezogene Besetzungen der Positionen von Ideal-ich und Ich-Ideal sind herauszuarbeiten und den gewohnten Allegorien, Idolen und Heroen gegenüberzustellen.

Die Sigmund Freud Vorlesungen 2017 sehen sich die Fragestellungen aus psychoanalytischer Sicht näher an. Die Texte zu den Vorträgen sind 2018 im gleichnamigen Band im Mandelbaum Verlag erschienen.

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