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Keine Mutter, kein Vater, keine Eltern. Genealogische Gegenentwürfe innerhalb und außerhalb von Phantasmen, Mythen und Legenden.

26. September 2019 von andrea

August Ruhs

Keine Mutter, kein Vater, keine Eltern. Genealogische Gegenentwürfe innerhalb und außerhalb von Phantasmen, Mythen und Legenden.

Vorstellungen von der Hervorbringung von Leben und Lebewesen aus unbelebter Materie, wie sie schon in der Antike unter dem Begriff der Spontanzeugung angestellt wurden (und im Gefolge auch Anlass zu zahlreichen Experimenten gaben), finden ihr anthropologisches Gegenstück sowohl in unzähligen Mythen, Märchen, und Erzählungen als auch in unterschiedlichen religiösen Überzeugungen und wissenschaftlichen Erklärungen, welche sich allerdings nicht nur auf das Rätsel der menschlichen Schöpfungsgeschichte beziehen, sondern auch auf Phantasmen hinsichtlich der Schaffung menschlichen Lebens außerhalb der natürlichen und geschlechtsbezogenen Zeugungs-, Reifungs- und Gebärprozesse. Was sich in den entsprechenden Motiven der Selbstzeugung und der Parthenogenese, in den mit ihnen verwobenen Geschichten von göttlichen Schwangerschaften und Geburten, in denBerichten über Vermännlichungen und Verweiblichungen, aber auch in den diversen Homunkuluskreationen zeigt, sind Zurückweisungen und Begehrenshaltungen, die Devereux zufolge stets um den Polymorphismus der Geschlechtszugehörigkeit kreisen. Somit verweisen sie nicht nur auf narzissmusinhärente demiurgische

Ambitionen des Menschen, sondern auch auf sein ewiges Hadern mit der Sexualität und der Dualität der Geschlechter.

In eine ähnliche Richtung weisen Zurückweisungen, Ablehnungen und Verkennungen hinsichtlich kollektiver Abstammungen und individueller Genealogien, die häufig in Mystifikationen der Herkunft und in Blockaden von Transmissionen münden. Hierher gehören auch die Legenden von Künstlern, wie sie von Ernst Kris und Otto Kurz beschrieben wurden.

Indem die Psychoanalyse in ihren behandlungstechnischen Dispositiven unbewusste Phantasmen mit Inhalten freilegt, die sich auch in den invarianten Bestandteilen der erwähnten Vorstellungskomplexe finden lassen, besteht sie auf deren transkulturelle Gültigkeit, was in der traditionellen Theoriebildung auch durch den Rekurs auf Mythen stets seinen Ausdruck gefunden hat.

Umwandlungen virtueller Räume in gelebte Realitäten und das Überschreiten der Grenzen von Vorstellungen, Phantasien und Träumen sind ein inhärenter Bestandteil menschlicher Evolution. Allerdings leben wir in einer Zeit, in der uns in vielen sozialen, politischen und kulturellen Bereichen Transformationen besonders markant und tiefgreifend erscheinen. Dies betrifft auch In-Frage-Stellungen und Umbrüche in der menschlichen Arterhaltung sowohl in Bezug auf die mit ihr verbundenen Institutionen und familiären Gefüge als auch hinsichtlich der Reproduktionsvorgänge selbst, welche sich nicht zuletzt auf das Bestreben zur manipulativen Überwindung der „Genlotterie“ (Orlan) konzentriert. Bemühungen zur alternativen Zeugung (und Erzeugung) menschlichen Lebens außerhalb der gewohnten Fortpflanzung laufen bekanntlich in zwei Richtungen: einerseits in eine biologistische bzw. biopolitische, die von der künstlichen Befruchtung über korporale mütterliche und nicht-mütterliche sowie extrakorporale Fruchtreifungsvorgänge bei atemberaubenden gentechnologischen Experimenten angelangt ist; andererseits in eine technizistische Richtung, die sich mit Entwicklungen auf dem Gebiet der Robotik und der "artificial intelligence" umschreiben lässt. Zwischen Enthusiasmus und apokalyptischen Ängsten angesichts einer dekonstruierten Welt wird die Psychoanalyse ihren angemessenen Platz, der eher einer in der Nähe von Besonnenheit und Gelassenheit ist, finden müssen. In Anbetracht soziologischer Fakten, insbesondere solcher bezüglich der Existenzfrage der Familie, sollte sich eine solche Haltung als nicht allzu schwierig erweisen.

Die im Vortrag besprochenen Szenen stammen aus dem Film "Nummer 5 lebt!".

Die Sigmund Freud Vorlesungen 2018 sehen sich die Fragestellungen aus psychoanalytischer Sicht näher an. Die Texte zu den Vorträgen sind 2018 im gleichnamigen Band erschienen.

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