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Selbstbewusstsein als anthropologische Differenz?

18. November 2015 von Peter Kaiser

Vortrag am 10.Kongress der Österreichischen Gesellschaft für Philosophie, Innsbruck 2015. http://www.uibk.ac.at/ipoint/blog/1326563.html

Wer über den Menschen nachdenkt, denkt auch über das Tier nach – und umgekehrt.Durchzieht nicht die abendländische Philosophiegeschichte, die sich so gerne mit derEule der Minerva schmückt, eine Spannung zwischen „Differentialismus und Assimilationismus“ (Robert Brandom), zwischen problematischen Anthropozentrismen, die unseremannigfaltigen Mensch-Tier-Beziehungen samt ethischen Konsequenzen durchziehenund kritisch-reflektierten Anthropomorphismen? Den Menschen in prinzipieller anthropologischer Differenz zu allen Tieren zu positionieren oder von Gemeinsamkeiten undlediglich graduellen Unterschieden zwischen den Lebewesen auszugehen, das ist als explanatorische Strategie von ungebrochener Aktualität: von Chrysipps Hund über Montaigneund Descartes bis zu Derridas Katze. Während Tierethik seit Längerem als Subdisziplinder Angewandten Ethik etabliert ist, hat in den letzten Jahren auch im deutschsprachigen Raum das Interesse an theoretischer Tierphilosophie des Geistes merklich zugenommen.Fragen zum Selbst-/Bewusstsein der Tiere spielen dabei eine entscheidende Rolle. Selbstbewusstsein verstanden als Bewusstsein, das ein Subjekt von sich selbst als von sich selbsthat, wurde oftmals – zusammen mit Sprach- und Handlungsfähigkeit – als exklusivesVermögen menschlicher autonomer Erfahrungssubjekte konzipiert. Selbstbewusstseinals „Alles-oder-nichts“-Phänomen diente paradigmatisch dazu, die anthropologischeDifferenz ontologisch zu verfestigen. Dieser Vortrag wählt den konträren „assimilationistischen“ Ausgangspunkt, Selbstbewusstsein als graduelles Phänomen verschiedenerFormen und Stufen zu begreifen. Zwei zentrale Annahmen werden erörtert: Erstens wirddafür argumentiert, Selbstbewusstsein weder als genuin sprachliches Phänomen zu konzipieren noch als ausschließlich reflexive Fähigkeit der Selbsterkennung, wie sie u.a. mit hilfe von „Spiegeltests“ bei einigen wenigen Tierarten nachgewiesen werden soll. Das hatauch entscheidende Konsequenzen für Positionen, die den Personstatus auf nichtmenschliche Lebewesen ausdehnen wollen, sich für ihren Begriff der Person jedoch nur an jenen komplexen Formen des Selbstbewusstseins orientieren, die höchstens den GroßenMenschenaffen sowie Delphinen zugeschrieben werden können. Zweitens soll aufgezeigtwerden, inwiefern jene komplexer definierten Formen einfacheres, nichtsprachliches,präreflexives Selbstbewusstsein voraussetzen. Dieses erschließt sich insbesondere als Körperbewusstsein, das Menschen in hohem Maße mit nichtmenschlichen Tieren gemeinsam haben. Auf dieser basalen Stufe nivelliert sich die anthropologische Differenz, wasanhand von drei aktuellen Positionen aus unterschiedlichen philosophischen Traditionenerörtert wird. David DeGrazias analytisch geprägte Argumentation, wonach Formen introspektiven und sozialen Selbstbewusstseins bei Tieren körperliches Selbstbewusstseinvoraussetzen, lässt sich um Dan Zahavis phänomenologische Perspektive auf leiblichesphänomenales Bewusstsein ergänzen. Und das konvergiert in bemerkenswerter Weisemit Christine Korsgaards „kantianischem Ansatz“, Tiere ebenso wie Menschen aufgrundihrer Empfindungsfähigkeit als selbstbewusste Wesen, „für die Dinge natürlich gut oderschlecht sein können“, als Zwecke an sich behandelt wissen zu wollen.

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