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Der Wille als Leib und Zeit. Zum Konzept von Leibzeit bei Emmanuel Levinas

4. Dezember 2015 von Reinhold Esterbauer

Vortrag am 10.Kongress der Österreichischen Gesellschaft für Philosophie, Innsbruck 2015. http://www.uibk.ac.at/ipoint/blog/1326563.html

Mit dem spatial turn in der Anthropologie ist nicht nur die Leiblichkeit vornehmlichunter der Kategorie des Raumes in den Blick genommen worden, sondern wurden Topologien in den Vordergrund gerückt und ist die Konjunktur des Begriffs „Verortung“gestiegen. Dass für Leiblichkeit auch die Zeit-Dimension zentral ist, wurde dadurch eherin den Hintergrund gedrängt. Schon Edmund Husserl hatte in den „Ideen II“ die Absolutheit des Leibes mit der „Lokalisation“ verbunden. Dabei wird laut Husserl über denTastsinn das Ich als absoluter Ort konstituiert, der es erlaubt, von einem Oben und Unten oder den Richtungen „vorn“ und „hinten“ zu sprechen, ohne dass diese Ortsbestimmungen symmetrisiert oder umgekehrt werden könnten. Konzentriert man sich demgegenüber auf die Zeit-Dimension des Leibes, so scheint mir der Vorschlag von EmmanuelLevinas, den dieser in „Totalité et Infini“ gemacht hat, besonders bedenkenswert. Dortbehauptet Levinas nämlich nicht nur, dass Leib und Zeit denselben Ursprung hätten,sondern er gründet seine Leibphilosophie zugleich auch auf eine Philosophie des Willens.Insofern die Tätigkeit des Willens eine Selbstbehauptung inkludiert, zeigt sich in jederÄußerung des Willens dessen Für-sich. Seine Tätigkeit umfasst freilich eine doppelte Bewegung: Zum einen ist der Wille für sich tätig, zum anderen äußert er sich zugleich undtranszendiert sich dadurch selbst. So wird der Wille angreifbar und setzt sich möglicher Gewalt von außen aus. Denn jeder Wille steht in der Möglichkeit, gebeugt zu werden.Ein Wille, der etwas ins Werk setzt, macht sich angreifbar. Sein Werk steht in Distanzzu ihm selbst und ist dem Zugriff der Anderen ausgeliefert. Das bedeutet, dass sich derWille, der für sich agiert, zugleich verrät. Menschlicher Wille, der für sich tätig und zugleich angreifbar ist, kann nach Levinas nicht anders, als sich leiblich zu manifestieren.Denn nur leiblich kann er etwas ins Werk setzen und nur in leiblicher Manifestation ister auch anfechtbar. „Diese Verfassung des Willens“, so Levinas, „ist der Leib.“ (TI 205)Anders gesagt: „Der Leib ist der ontologische Status des Willens […]“ (TI 205), dessenDoppeldeutigkeit sich als Sterblichkeit äußert. Für Levinas liegt in der Sterblichkeit, alsoin der Willenskundgebung, die zugleich Ausdruck eigener Identität und deren Verrat ist,der Ursprung der Leibzeit begründet. Sachlich noch vor der Zeit, die über das Bewusstsein in Retention und in Protention aufgespannt wird, lässt sich in der Leiblichkeit eineZeit erkennen, die vom Bewusstsein unabhängig ist und die im Tod ihre Grenze findet.Dem Willen ist also Zeit gegeben, sich zu entfalten, nicht ohne sich dabei zugleich zuverlieren. Der „Aufschub des Todes“ (TI 208), der sich als Sterblichkeit manifestiert, diezugleich für den Willen gilt, macht die Grundbestimmung dieser Leibzeit aus. DieserKonzeption von Leiblichkeit und Zeitlichkeit, die nach Levinas im menschlichen Willengründet, soll der Vortrag nachgehen, sie auf ihre Tragfähigkeit hin überprüfen und siekritisch weiterdenken.

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