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Die Grenzen des Unendlichen. Universum und menschlicher Geist bei Nicolaus Cusanus

30. Juni 2011 von Stephan Grotz

Versucht man den Gedanken zu plausibilisieren, daß das Weltganze seine Entstehung einer anderen oder gar höheren Ursache als irgendwelchen natürlichen oder weltimmanenten Ursachen verdankt, dann sind dafür offensichtlich zwei konzeptuelle Voraussetzungen einer wesentlichen Begrenztheit zu machen. Zum einen ist dies die raum-zeitliche Endlichkeit des Universums und zum anderen das Auftreten von menschlichem Geist auf einem begrenzten Raum im ansonsten geistfreien Universum. Nirgends kommen diese beiden Aspekte sinnfälliger zum Ausdruck als in der antik-mittelalterlichen Auffassung des Kosmos, wonach die Erde genau in der Mitte eines zwiebelschalenartigen Gebildes ruht. Für seine christlich geprägte Philosophie macht Nicolaus Cusanus weder die eine noch die andere der genannten beiden Voraussetzungen. Für ihn ist das Weltall erschaffen − und doch ohne fixen Mittelpunkt und räumliche Grenze. Ebenso hat der menschliche Geist als Abbild des göttlichen Geistes und dank seiner immensen schöpferischen Fähigkeiten eine Ausnahmestellung im Universum − und ist doch nicht einzigartig. In meinem Beitrag möchte ich zeigen, daß für Cusanus diese Auflösungen von gesicherten Grenzen und Standpunkten gar keinen Verlust bedeuten, sondern allererst einen adäquaten Begriff vom Kosmos und vom menschlichen Geist ermöglichen. Denn die mit dem Wegfall eines fixen Mittelpunktes einhergehende Unendlichkeit des Weltalls sichert auch dem menschlichen Geist seine Unabhängigkeit von einem Fixpunkt, der ihm von vornherein im Weltganzen zugewiesen ist. Es gibt somit nicht eine einzige und alleingültige Sicht auf einen geschlossenen Kosmos, sondern es eröffnet sich für den menschlichen Geist eine unabsehbare Vielfalt von Möglichkeiten, wie er das unendliche Universum messend begreifen kann. Diese Entgrenzungen, die sich von starren Vorgaben lösen, haben freilich auch ihren Preis: Jegliches Wissen, auch das der gewissesten Art, kann niemals seinen mutmaßenden (konjekturalen) Charakter abschütteln. Approximatives Wissen, das sich dem Maximum absoluter Präzision zwar immer mehr annähern, aber dieses Maximum niemals erreichen kann, ist die Kehrseite der uneingeschränkten Erkenntniskraft des menschlichen Geistes. Insgesamt zeigt sich so, daß wir es bei Cusanus mit einer Neubestimmung der Grenze zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit zu tun haben: Die Unendlichkeit wird zu einem integralen Moment der Endlichkeit, insofern es die Endlichkeit fundamental auszeichnet, daß ihr abschließbare Ganzheiten versagt sind.

Diskussion zum Vortrag.

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