Bernhard Waldenfels, einer der bekanntesten deutschen Phänomenologen, hielt 2002, ein Jahr nach dem Anschlag in New York, einen Vortrag „Gewalt, Opfer, Verletzung. Humanismus und Terror nach dem 11. September“. Seine Überlegungen haben nichts von ihrer Aktualität eingebüßt.
Die Annahme, Gewalt sei roh und blind, gehört zu den verharmlosenden Klischees einer sich ihrer selbst allzu sicheren, technisch versierten Zivilisation. Eine Phänomenologie der Gewalt, die das Undenkbare zu denken versucht, wird nicht sogleich von der Rolle des Opfers zu der des Richters überwechseln, sondern Ziel und Art der leibhaftigen Verletzung, Formen der Mittäterschaft und das Ineinander von Ordnung und Gewalt bedenken, bevor zu neuen Kreuzzügen gegen die Gewalt aufgerufen wird. Gewalt bleibt Gewalt, auch wenn sie als Gegengewalt Gründe auf ihrer Seite hat. Revision der Sendung vom 24.6.2002.