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Selbstwissen und Wissen über die Welt: Die Einheit der intuitiven Kenntnis bei Ockham

30. Juni 2011 von Sonja Schierbaum

Das ontologische Sparprogramm Wilhelm von Ockhams enthält bekanntlich nur Einzeldinge, und zwar Einzelsubstanzen (dieser Mensch, diese Blume) und deren Qualitäten (die Weisheit dieses Menschen, das Rot dieser Blume). Ockham unterscheidet neben der sinnlichen Wahrnehmung explizit eine Fähigkeit des Intellekts, diese Einzeldinge als Einzeldinge zu erfassen, und zwar die sogenannte „intuitive Kenntnis“ (notitia intuitiva). Dieser kommt die besondere Funktion zu, evidente Urteile über Dinge zu ermöglichen, die dem Erkennenden gegenwärtig sind („Diese Blume ist rot.“) In der Ockham- Forschung sind externalistische Lesarten prominent, denen zufolge der Gehalt eines intuitiven Akts nicht (nur) durch interne Faktoren, sondern (auch) durch eine externe (kausale) Relation zu dem Gegenstand bestimmt wird, auf den sich der Akt bezieht. Diese Lesart ist plausibel. Es ist aber zu fragen, ob sie damit vereinbar ist, daß die intuitive Kenntnis ihre Funktion auch in Bezug auf evidente Urteile über aktuelle mentale Akte und Zustände des Erkennenden erfüllt („Ich sehe eine Blume.“) Wie ist aber ein Wissen von den eigenen Akten möglich, wenn deren Gehalt (auch) durch externe Faktoren bestimmt wird? Der Schlüssel zu einer Antwort liegt in Ockhams Unterscheidung von reflexiven und nicht-reflexiven Akten: Wird der Gehalt des intuitiven Erfassens etwa einer Blume durch eine externe (kausale) Relation bestimmt, so wird der Gehalt des intuitiven Erfassens, das sich auf diesen ersten Akt bezieht, (zumindest teils) durch den Gehalt des ersten Akts bestimmt: Der Gehalt des ersten Akts ist als Teilgehalt in dem zweiten Akt enthalten. Demnach ist ein Urteil über einen mentalen Akt („Ich sehe eine Blume“) genau dann evident, wenn das Urteil über den Gegenstand des Akts („Da ist eine Blume“) evident ist. Daraus folgt, daß Selbstwissen bei Ockham – als Wissen von eigenen mentalen Akten – keine besondere Form des Wissens darstellt, die sich grundsätzlich von kontingentem Tatsachenwissen unterscheidet.

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