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Erkenntnisleitende Metaphern

3. November 2015 von Georg Friedrich

Vortrag am 10.Kongress der Österreichischen Gesellschaft für Philosophie, Innsbruck 2015. http://www.uibk.ac.at/ipoint/blog/1326563.html

Wenn Physiker davon sprechen, dass sich unsere Sonne eines entfernten Tages in einen roten Riesen und noch viel später in einen weißen Zwerg verwandeln wird, oder davon,dass sich Elementarteilchen auf allen möglichen Wegen gleichzeitig von einem Punkt Azu einem Punkt B bewegen, kommt man schwerlich umhin, nach der Quintessenz dieserund ähnlicher Aussagen zu fragen. Auch wenn Psychologen leger erklären, dass Erinnerungen im Gehirn gespeichert werden, so möchte man wissen, was gemeint ist. Eineerste und natürlich erscheinende Möglichkeit bestünde darin, diese Aussagen wörtlich zuverstehen, womit sich eine ganze Reihe an weiterführenden Fragen ergeben würde: Wiekann es sein, dass sich bestimmte Gegenstände zur selben Zeit an zwei verschiedenenOrten aufhalten? Können Informationen auf biologischem Material gespeichert werdenwie Mais in einem Speicher oder wie Daten auf einer Festplatte? Die zweite Möglichkeit,die mir viel mehr zu versprechen scheint, besteht darin, danach zu suchen, was Physiker oder Psychologen eigentlich sagen wollen, ihnen also gewissermaßen zu unterstellen,dass sie sich in vereinfachender und irreführender Weise ausdrücken. Damit entstehtkonkret die Aufgabe, zu erklären, wie die zuvor genannten Sätze interpretiert werdenkönnen. Ich möchte vorschlagen, die genannten Aussagen metaphorisch zu verstehen.Physiker sprechen zwar nicht von der Schwarzes-Loch-Metapher und auch Chemikersprechen nicht von der Kohlenwasserstoffketten-Metapher, doch immerhin sprechenPsychologen von der Computer-Metapher. Auch in der Wissenschaftstheorie wird dieAuffassung vertreten, dass einige naturwissenschaftliche Beschreibungen metaphorischzu verstehen sind. Diese Metaphern spielen sowohl bei der Entstehung von Theorien alsauch bei ihrer Verbreitung eine wichtige Rolle. Ausgangspunkt einer Diskussion kanndie Tatsache sein, dass natürliche Sprache mit metaphorischen Ausdrücken durchsetztist, eine ausschließlich wörtliche Redeweise wäre kaum vorstellbar; und wir verstehen diemetaphorische Ausdrucksweise im Allgemeinen. Daran anknüpfen muss man sich dieFrage stellen, warum wir Metaphern auch bei der Formulierung von wissenschaftlichenTheorien verwenden. Leistet die Metapher einen Beitrag zum Erkenntnisprozess, derdurch eine vorwiegend wörtliche Ausdrucksweise nicht oder nur mit erheblich größeremAufwand erreicht werden könnte? Warum nimmt die Metapher bei der Formulierungwissenschaftlicher Theorien eine zentrale Stellung ein? Ein zweiter Blick macht sichtbar, dass in wissenschaftlichen Theorien zwei Arten von Metaphern verwendet werden:theoriekonstituierenden Metaphern und nicht-theoriekonstituierenden Metaphern. Einenicht-theoriekonstituierende Metapher kann vollständig eliminiert werden, d. h. das,was durch die Metapher zum Ausdruck gebracht wird, kann auch wörtlich gesagt werden. Wenn jemand von Kraftfeldern spricht, so denkt er dabei an Dinge, die mit Mais­feldern nur eine entfernte Ähnlichkeit aufweisen. Die Metapher dient dazu, die Theorieanschaulich vorstellbar zu machen. Auf eine theoriekonstituierende Metapher kann nichtverzichtet werden, sie ist ein integrativer Bestandteil einer wissenschaftlichen Theorie.Der Kerngedanke der Computer-Metapher, nämlich dass das menschliche Gehirn eininformationsverarbeitender Mechanismus ist, kann nicht in wörtlicher Weise formuliertwerden. In beiden Fällen scheint es mir gerechtfertigt zu sein, von erkenntnisleitendenMetaphern zu sprechen. Nicht-theoriekonstituierende Metaphern sind erkenntnisleitend,da sie einen überblicksartigen und schnellen Zugang zu einem neuen Gegenstandsbereichbieten. Theoriekonstituierende Metaphern sind in einem viel stärkeren Sinn erkenntnisleitend, sie sind der Ausgangspunkt der wissenschaftlichen Erkenntnis.

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