Mit dem Spätwerk von Friedrich Waismann werden zwei Begriffe in Verbindung gebracht: „open texture“ und „language strata“. Diese entstammen einem unvollendet gebliebenen Versuch ein neues Bild der Sprache zu entwerfen, welches die Mehrdeutigkeit und die Unbestimmtheit sprachlicher Ausdrücke nicht nur in den Blick nimmt, sondern zum wesentlichen Merkmal und zur Struktur der Sprache selbst erhebt. Allerdings sind Waismanns Ausführungen zur Ambiguität und Vagheit, zur Vielfalt sprachlicher Phänomene und ihrer Abgrenzung zu seinem Begriff „open texture“ selbst recht vage geblieben. Ich versuche in meinem Vortrag Waismanns Argumentation in zwei Zugängen zu rekonstruieren. Erstens soll ein Paper von Arne Naess und Ingemund Gullvåg aus dem Jahre 1996 zur Hilfe genommen werden, um Waismanns Auffassung von sprachlicher Mehrdeutigkeit zu präzisieren. Zweitens wird eine Andeutung Waismanns in dem Text language strata ernst genommen und interpretiert, wonach er sein Vorhaben mit einem bestimmten Theorem von Carl Friedrich Gauß vergleicht, jedoch wiederum nicht ausführt, wie genau dieses Theorem zu seiner eigenen Idee in Beziehung steht. Waismanns fast unbekannt gebliebener Essay A Philosopher Looks at Kafka aus derselben Zeit, soll eine sehr direkte – wenn auch bildhafte und populärwissenschaftliche – Anlehnung an die Idee von Gauß plausibel machen. Für das Thema „Grenzen überdenken“ ist Waismanns Werk in zweierlei Hinsicht beachtenswert: In einer Verschränkung von Theorie und Biografie ist es zwischen Moritz Schlick und Ludwig Wittgenstein zu verorten, jedoch durch sein Schicksal diesem Verhältnis entrissen. Daraufhin wird allerdings der Fortschrittsgedanke in der Philosophie reflektiert und eine sprachphilosophische Argumentation dafür angeboten, wie sich die Übergänge zwischen philosophischen Weltanschauungen verschiedener Epochen und konträrer Vorzeichen darstellen lassen.
Diskussion zum Vortrag.