Fritz Lackinger
Sexuelle Diversität in psychoanalytischen Gesellschaften?
Sigmund Freud war wegweisend für eine offene Einstellung zur Homosexualität und wollte Homosexuelle auch keineswegs von der Mitgliedschaft in den Psychoanalytischen Vereinigungen ausschließen. Doch stand er damit (zusammen mit Rank) auf recht verlorenem Posten und die nach-freudianische Psychoanalyse verschanzte sich jahrzehntelang hinter pathologisierenden und marginalisierenden Vorurteilen, die als psychoanalytische Theorie missverstanden wurden. Es liegt nahe anzunehmen, dass ein unbewusst bleibendes Gefühl der bedrohten (heteronormativen) Identität dabei eine große Rolle spielte. Vieles hat sich seither verändert: Die IPA beschloss eine Antidiskriminierungspolitik, homosexuelle Kandidat_innen werden zumindest formal überall zur Ausbildung zugelassen, in vielen Ländern gibt es bekannte schwule Psychoanalytiker. Und dennoch scheint im Verhältnis der Homosexuellen zur institutionalisierten Psychoanalyse keineswegs alles in Ordnung zu sein. V.a. in den deutsch- sprechenden Ländern besteht ein Mangel an Diskussion, an Wissen und an real gelebter Öffnung. Und die Konse- quenzen für die psychoanalytische Theorie und Klinik sind auch noch sehr umstritten und werden nur in Teilen der psychoanalytischen Community ernsthaft diskutiert. Eine die sexuelle Diversität integrierende psychoanalytische Identität scheint noch nicht gefunden zu sein.
Die Sigmund Freud Vorlesungen 2017 sehen sich die Fragestellungen aus psychoanalytischer Sicht näher an. Die Texte zu den Vorträgen sind 2018 im gleichnamigen Band im Mandelbaum Verlag erschienen.