Die Reflexion über ihre philosophischen Grundlagen war der Völkerrechtswissenschaft bereits in die Wiege gelegt. Dies gilt namentlich für eine ihrer Gründergestalten, Hugo Grotius. Diese Grundlagenarbeit wurde in der Folge oft als Aufbauleistung der Gründerzeit angesehen, der sich die wohletablierte Disziplin nicht mehr zu widmen bräuchte. Nichtsdestotrotz ist es in kritischen Phasen der Völkerrechtswissenschaft immer wieder zu einer Rückbesinnung auf ihre philosophischen Grundlagen gekommen. Namentlich die „Österreichische Schule des Völkerrechts“ hat mit ihren Hauptvertretern, Hans Kelsen und Alfred Verdross, diesbezügliche Denkanstrengungen unternommen. Allerdings hat nach den großen Entwürfen, Methoden- und Grundsatzdiskussionen der Anfangsjahrzehnte des 20. Jahrhunderts vielfach die Beschäftigung bloß mit dem Recht Überhand gewonnen. In den letzten beiden Jahrzehnten lässt sich indes gerade im anglo-amerikanischen Raum eine verstärkte Beschäftigung mit Fragen der Philosophie des Völkerrechts feststellen. Von daher stellt sich die Frage, ob es sich hierbei um eine nachhaltige Wiederbelebung des Gesprächs zwischen Philosophie und Völkerrechtswissenschaft handelt oder lediglich um eine intellektuelle Eintagsfliege. Markiert die verstärkte Beschäftigung mit philosophischen Fragen eine Umbruchssituation, die die Rückbesinnung auf philosophischen Grundlagen attraktiv oder notwendig macht? Stichworte wie Ende des Kalten Krieges, Globalisierung, Wirtschafts-, Umwelt-, Klimakrise kommen einem da leicht in den Sinn. Wird die Philosophie damit aus Sicht der Einzeldisziplin zum Krisenindikator und/oder zum Krisenhelfer? Und was heißt das für das Gespräch der Disziplinen? Kommt es wirklich zum Dialog oder geht es mehr um die Befruchtung der einen Disziplin aus den Schätzen und Denkanstrengungen einer anderen?
Diskussion zum Vortrag.