Julia Berner
Penisneid und Geschlechtsidentität
In meinem Vortag möchte ich der Frage nachgehen inwiefern das Konzept des Penisneides für die weibliche Geschlechtsidentität aus heutiger Sicht noch relevant erscheint. Handelt es sich dabei nur um ein Relikt aus einer phallozentrisch geprägten frühen Psychoanalyse das inzwischen an Bedeutung verloren hat? Besonders seit die Objektbeziehungstheorie die Libidotheorie in der Praxis der Deutungen eher in den Hintergrund treten lässt? Heute gehen wir davon aus, dass die Geschlechtsidentität des Kindes bereits durch innere Bilder und Vorstellun- gen der Eltern in der Schwangerschaft und dann von Geburt an weiter beeinflusst werden kann und nicht erst mit der Anerkennung des Geschlechtsunterschiedes im zweiten Lebensjahr beginnt. Wir betrachten Penisneid als ein mehr oder weniger bewusstes Phänomen, in welchem unbewältigte orale und anale Konflikte wieder aufleben können. Narzisstische Sehnsüchte nach Omnipotenz können den Wunsch fördern, sowohl Mann als auch Frau sein zu können. Lacan beschreibt die Sehnsucht nach dem Phallus als Repräsentanten einer illusionären Voll- kommenheit und Begehren nach einem unmöglichen Zustand vollkommener Erfüllung. Während das Konzept des Phallus nur zwischen Haben und Nicht haben unterscheidet, ermöglicht erst die Anerkennung von Grenzen eine echte Triangulierung, in welcher homo- und heterosexuelle libidinöse Beziehungen gedacht werden dürfen und damit neue Denkräume entstehen können. Auf diese Weise könnte der Penis in seiner verbindenden und struk- turgebenden Funktion begriffen und integriert werden und damit Vorstellungen zu einer passiv-rezeptiven, mehr körperlich erlebten Weiblichkeit in fruchtbarer Weise ergänzen.
Die Sigmund Freud Vorlesungen 2017 sehen sich die Fragestellungen aus psychoanalytischer Sicht näher an. Die Texte zu den Vorträgen sind 2018 im gleichnamigen Band im Mandelbaum Verlag erschienen.