Die Idee der Individualität ist für unser Selbstverständnis als Menschen wesentlich. Zwar wird der Begriff menschlicher Individualität selten explizit thematisiert; implizit aber ist er für viele Debatten sowohl in der theoretischen als auch in der praktischen Philosophie relevant. Dafür seien zwei Beispiele angeführt: Die begrifflichen Grundlagen der „Anlage/Umwelt“-Kontroverse werden in der Philosophie der Biologie und der Philosophie der Psychologie immer wieder problematisiert. Dabei geht es insbesondere um die Frage, inwiefern die individuelle Ausprägung von mentalen und physischen Eigenschaften durch biologische Merkmale (Gene) und durch den Einfluss der Erziehung und soziale Prägung determiniert wird. In der praktischen Philosophie wird der politische Individualismus gegenwärtig intensiv diskutiert. Eine normative Kernfrage betrifft dabei die Reichweite legitimer staatlicher Intervention gegenüber dem einzelnen Individuum. Für diese und andere Debatten scheint somit eine Vorstellung von menschlicher Individualität von grundlegender Bedeutung zu sein. Im Vortrag wird versucht, einige inhaltliche Bestimmungen dieses Individualitätsbegriffs zu explizieren. Dabei wird zuerst gezeigt, dass es einen Begriff menschlicher Individualität gibt, der weder mit den in der Psychologie geläufigen Konzepten Persönlichkeit und Charakter, noch mit dem biologischen Begriff des menschlichen Individuums zusammenfällt, der aber gleichwohl für unser Selbstverständnis als Menschen wesentlich ist. In einem zweiten Schritt wird dann eine normative Bedeutungskomponente dieses Individualitätsbegriffs herausgearbeitet. Dabei handelt es sich nicht um eine Dimension moralischer Normativität, sondern vielmehr um eine normative Orientierung, die sich aus der teleologischen Vorstellung ergibt, dass menschliche Individuen ihre Anlagen entweder in guter oder gelungener Weise entfalten oder dieses Ziel auch verfehlen können.
Diskussion zum Vortrag.