Die These, dass semantische Gehalte normative Eigenschaften haben, kann in der gegenwärtigen Sprachphilosophie fast schon als Gemeinplatz gelten. Eine vieldiskutierte Version dieser Normativitätsthese hat Robert Brandom entwickelt. Er vertritt nicht nur die These, dass propositionale Einstellungen aufgrund ihrer inferentiellen Rollen intrinsisch normative Eigenschaften haben, sondern dass diese inferentiellen Rollen durch die soziale Praxis des deontischen Kontoführens instituiert werden. Daraus folgt für Brandom, dass der semantische Gehalt von propositionalen Einstellungen genau deshalb normativ ist, weil er in sozialen Praktiken instituiert wird. Das ist der zentrale Gedanke seines Phänomenalismus in Sachen Normativität. Einer von Brandoms historischen Bezugsautoren für diese These ist Kant. In seiner Deutung hat auch Kant die These vertreten, dass Normen im Allgemeinen und begriffliche Normen im Besonderen dadurch instituiert werden, dass sie von Subjekten anerkannt werden, die sich an diese Normen binden. In meinem Vortrag werde ich Schwierigkeiten beider Thesen diskutieren. Erstens werde ich in Frage stellen, ob es Brandom gelingt, auf überzeugende Weise die Verträglichkeit von Objektivität und sozialer Konstitution begrifflicher Normen zu begründen. Zweitens werde ich seine Kant-Deutung problematisieren und eine alternative skizzieren, die es erlaubt, ausgehend von Kant sowohl an der Normativität begrifflicher Gehalte festzuhalten als auch die Objektivität dieser Normen verständlich zu machen, ohne auf eine sozialpragmatische Begründung zurückgreifen zu müssen. Auf diese Weise soll eine Perspektive eröffnet werden, um das Thema semantischer, begrifflicher und epistemischer Normen jenseits der Alternative von individualistischen und kollektivistischen Ansätzen zu diskutieren.
Diskussion zum Vortrag.