In der neueren Diskussion um die Integration der Einzelnen in Gesellschaft und Staat wird immer wieder auf die normative Bedeutung religiöser Motive und Traditionen verwiesen. Offenbar wird dabei die Grenze zwischen religiöser und säkularer Begründung des Politischen als eine durch Übersetzung (im linguistischen oder im kognitiv-begrifflichen Sinn) überschreitbare wahrgenommen. Dahinter verbirgt sich aber das massive Problem der Begründung von Gewißheit als Glaube oder als Wissen: Wieweit man an rational begründete Inhalte glauben kann und wieweit man umgekehrt etwas wissen kann, das sich, gerade auch dem eigenen Verständnis nach, solchen Begründungen entzieht. Die Weise, wie diese Differenz entwickelt worden ist, kann Rückschlüsse auf die geschichtliche Bedingtheit und auf die politischen Funktionen des Verhältnisses von Glauben und Wissen erlauben. Daraus kann auch die Langlebigkeit dieses politischen Motivs verständlich werden. Der Ausgangspunkt dieser Problematik ist in der Aristoteles-Rezeption des 12. und 13. Jahrhunderts zu suchen. Die philosophische Überzeugungskraft der Aristotelischen Werke provoziert den Versuch, dieses nichtreligiöse Denken als mit den Glaubenswahrheiten vereinbar zu denken. Daß diese grundsätzlich auch mittels lumen naturale begründbar sein müßten, war dem neuplatonisch geprägten Denken des früheren Mittelalters nicht in der Schärfe zum Problem geworden. Mit der nominalistischen Wende indes wird es zum bestimmenden Problem neuzeitlicher Wissenschaft. Hiervon ausgehend ist kurz und beispielhaft zu zeigen, wie religiöse und säkulare Legitimationsformen in der Neuzeit verwoben, aber zugleich spannungsreich aufeinander bezogen sind, bis hin zu Kant und zu Hegel. Diese Autoren sind schließlich die Referenzgrößen der eingangs erwähnten neueren Diskussion.
Gewißheit und Normbegründung – Die Grenze zwischen Glauben und Wissen in historischer und in systematischer Perspektive
/
RSS Feed