Figuren der Anderen als Grenzen des Selbstverständnis der europäischen Philosophie

Philosophie und Europa scheinen durch eine besondere, ja intime Beziehung zueinander augezeichnet zu sein – mehr noch: zu einem bestimmten Zeitpunkt ist gar eines definiens des anderen gewesen und vice versa. Diese Erzählung einer besonderen Beziehung berichtet ebenso von einer historischen Begründung derselben, wie sie selbst historisch bedingt ist. Von einem Europa oder gar von einem Europäischen kann vor dem 16. Jahrhundert keine Rede sein – und dies im nicht allein im übertragenen Sinn der Wendung: Tatsächlich wird das Wort selbst ebenso wenig verwendet wie es als Ordnungsbegriff dient. So gibt es denn auch keine Erzählung der europäischen Philosophie vor der Neuzeit. Es ist in der europäischen (deutschen, protestantischen) Frühaufklärung, der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, dass zum ersten Mal von einer europäischen Philosophie gehandelt wird. Vor dem Hintergrund der methodischen Wende der Philosophiegeschichtsschreibung von der Heilsgeschichte zum Pragmatismus ist es Johann Jakob Brucker, der die europäische Philosophie einer antiken barbarischen Philosophie ebenso gegenüberstellt, wie einer modernen. Es ist in Absetzung zu den Anderen, den barbarischen, den nicht-europäischen, dass diese Rede in Stand gesetzt wird. Und eben so bleiben sie in der Verhandlung darüber was die europäische Philosophie ist immer gegenwärtig – als zu verabschiedende Angerufene. In meinem Vortrag möchte ich Ihnen mehrere dieser Figuren der Anrufung aus meiner historisch-empirischen Untersuchung philosophiegeschichtlicher Werke vorführen.