Es gibt zwei Möglichkeiten sich einem wissenschaftlichen Thema zu nähern, in statischer oder genetischer Weise. Während eine statische Perspektive auf eine distinkte Definition und Abgrenzung gegenüber anderen Untersuchungsobjekten abzielt, verfolgt eine genetische Sicht die Einbindung und Kontinuität des Phänomens in Bezug auf vermeintliche Vor- und Nebenbereiche und betont seine zeitliche Entwicklung. In der Phänomenologie Husserls stand zunächst die statische Analyse in Form einer eidetischen Bestimmung allgemeiner Bewusstseinsstrukturen im Zentrum des Interesses. Nach und nach entwickelte sich allerdings eine genetische Perspektive, die nicht einzelne Arbeitsschritte im Blick hat, sondern den umfassenden zeitlichen und inhaltlichen Erfahrungszusammenhang. Die genetische Phänomenologie folgt dabei der Einsicht, dass jeder Bewusstseinsaktivität eine vorgegebene Passivität vorangehen muss. Die Ausweitung der Phänomenologie auf ihre passiven Grundlagen zieht aber zwangsläufig eine empirische Erweiterung ihrer Horizonte nach sich. Genetische Themen wie die leibliche Habitualität oder passive Prozesse können aus der Ersten-Person-Perspektive nicht mehr vollständig reflexiv zugänglich gemacht werden. Sie erfordern insofern eine Bestätigung durch Dritte, d.h. eine Erweiterung um die Dritte-Person-Perspektive der empirischen Wissenschaften. Grenzbereiche der Phänomenologie lassen sich etwa in (neuro)psychologischen Experimenten anschaulich fassen. Trotz der methodischen und begrifflichen Unterschiede soll in Anbetracht aktueller dynamischer Konzepte wie der embodied cognition oder der neuronalen Plastizität für eine gemeinsame genetische Perspektive plädiert werden: Nur in der Überschneidung von subjektiven- und objektiven Untersuchungsmethoden kann man der biologischen, psychologischen und geschichtlichen Entwicklung des Subjekts in seiner Kontinuität auf die Spur kommen und die Interaktion desselben mit seiner Um- oder Lebenswelt adäquat beschreiben.
Diskussion zum Vortrag.