Vortrag am 10.Kongress der Österreichischen Gesellschaft für Philosophie, Innsbruck 2015.http://www.uibk.ac.at/ipoint/blog/1326563.html
„Haben Sie sich schon einmal klar gemacht, daß nahezu alles, was die Menschheit heutigen Tages noch denkt, denken nennt, bereits von Maschinen gedacht werden kann,hergestellt von der Kybernetik, der neuen Schöpfungswissenschaft?“ (Benn 1991, S. 71)Die Hochphase der Kybernetik in den 1950-1970er Jahren gilt weitestgehend in derwissenshistorischen sowie philosophischen Forschung als Zäsur im Denken. Indem sieeinen neuen Wahrnehmungs- und Denkstil prägte, der nicht nur auf den wissenschaftlichen Raum beschränkt blieb, bot sie gleichzeitig auch interdisziplinäre Anschlusspunkte einer „Transformation des Humanen“. (vgl. Hörl/Hagner, 2008) Die Sonderstellungdes Menschen, der cartesianische Dualismus sowie die Dichotomie von Mensch undTechnik werden in dieser neuen von Norbert Wiener begründeten „Universaldisziplin“zugunsten einer „kognitivistische[n] ‚Menschenfassung‘ in logischen Schaltungen“ subvertiert. (Wiener 1990, S. 47) Die Idee einer „Denkmaschine“ wurde in der Kybernetikzum Paradigma und bot Raum für Spekulationen und Ideen, in denen Natur und Materie, Mensch und Maschine analog in ein berechenbares Ordnungsprinzip eingespanntwurden. Folgt man diesem Ansatz, so kann Logik „in natürlichen wie in künstlichenSystemen“ in Materie „verkörpert und ausgedrückt“ werden. (Dupuy 2000, S. 12) Zahlund Mensch überlappen und werden zusammen lesbar. Diese „Physiologie des Berechenbaren“ (Arbib 2000, S. 207) führt zwangsläufig zu einer „celebralen Mathematik“ (Lem1981, S. 163) und das Nervensystem wird zur „logische[n] Maschine par excellence“.(McCulloch 2000, S. 94) In den kybernetischen Konzepten scheinen sich Maschinenzielorientiert und ordnungsgemäß wie Menschen zu verhalten. In Anbetracht dessen istdie große Änderung, die mit der Kybernetik einhergeht, die Stellung des Menschen: DieMaschine steht dem Menschen nicht mehr gegenüber, sondern gleich. Mit dem neuenDenken kommt zwangsläufig auch ein neuer Menschentypus der Selbststeuerung auf, dernicht mehr in ein antiquiertes Menschenbild passt. Doch um dieses neue Menschenbildzu verstehen, muss man die Kybernetik in einem größeren diskursiven Feld einordnen,d.h. ihren Entstehungskontext historisch betrachten. Die Kybernetik wird nicht von einerPolitik pervertiert, „[v]ielmehr ist die Kybernetik selbst schon von Anfang an eine politische Technologie gewesen“. (Pias 2004, S. 305) Wiener reagierte mit seiner „Kybernetik“von Beginn an auf ein militärisches Problem: die Konstruktion effizienter Flugabwehrgeschütze, die durch Selbstorganisation die unterschiedlichen Geschwindigkeiten vonGeschoss und feindlichem Flugobjekt aufeinander abzustimmen. Das Unkalkulierbare(Verhalten des feindlichen Piloten) soll antizipiert werden, um Trefferwahrscheinlichkeit zu erhöhen. Diese ursprüngliche Zielsetzung fügte den üblichen Feindbildern des Zweiten Weltkriegs ein weiteres hinzu: Der berechenbare Gegner. Dieses ‚neue‘ Menschenbildfungiert im Rahmen einer Ordnung, die weitgehend frei vom Zufall ist. Hierbei zeigtsich schon in der Geburtsstunde der Kybernetik der Wille zur Kontrolle des Chaos, zumRückbinden des Unkalkulierbaren (dessen Zentrum der Mensch ist) in die Kalkulation.Indem sich die Disziplinargesellschaft Foucaults mit der Kontrollgesellschaft Deleuzesverbinden, zeigen sich Berechenbarkeit und Beherrschbarkeit als zwei Seiten einer technikwissenschaftlichen Medaille. In dem Vortrag soll ausgehend von diesem Hintergrundverschiedenen Problematisierungsdiskursen nachgegangen werden, die das Dispositiv derMensch-Technik-Interaktion betreffen: Inwieweit ist der „Faktor Mensch“ vollkommenberechenbar? Lässt sich der Mensch in ein rein mathematisches Ordnungsmuster einspannen? Oder weist nicht vielleicht gerade die Kybernetik in ihrem Niedergang um1980 exemplarisch auf ein Defizit der Übersetzung naturwissenschaftlich-technischerMessparameter auf den Menschen hin, und entwirft damit ein neues, vielleicht kreativeres Menschenbild auch unserer Gegenwart?