In Robert Walsers Roman Jakob von Gunten richtet sich das pädagogische Programm des ominösen "Instituts Benjamenta" auf Schüler als Formen des Lebens in einer Abrichtung ihres Verhaltens. Dabei wird keine Ausbildung des Einzelnen zu vermehrten Fähigkeiten und Kenntnissen verfolgt, sondern die Anordnung der Körper der Klasse zu physiognomischen und ornamentalen Linien, zu einer "Zeichnung, die als einziger Beweis der Vorschriften am Institut dient." Man kann in dieser nur als Zeichnung begründbaren Walserschen Institution ein Spiel informeller Kräfte ausmachen, ein Diagramm in dem bei Deleuze die Kontrollmacht ihren Zugriff auf das Leben organisiert. Und es lässt sich dieses Diagramm nicht nur auf Walsers Poetologie des Romans beziehen, sondern auf die später von ihm erlernte Schulanfängerschrift Sütterlin, deren ornamentale Formen Schülerkörper zu dezidiert nicht-organischen Bewegungen anreizen sollte und die darin einem pädagogischen Konzept folgt, in dem seit Wilhelm Preyer lebendig sich entwickelnde Formen nur noch als Maschinen eines pädagogischen Verbunds gedacht werden können. Der Roman wird so in der Literatur um 1900 zur poetologischen Form eines nicht-organischen Lebens, das von einer Pädagogik und einer Schreibtechnik hervorgebracht wird.
Das Ornament der Klasse. Diagramme in Literatur und Pädagogik um 1900
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